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Kennen Sie das Gefühl, vor Wut platzen zu können? Was dann hilft: tief einatmen oder Yoga. Was nicht hilft: joggen oder in einen Boxsack kicken.
Autor: Regula Ott
02.04.2024, 04:40
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«Es ist wirklich wichtig, mit dem Mythos aufzuräumen, dass man – wenn man wütend ist – Dampf ablassen sollte», so der Professor für Kommunikation Brad Bushman. Er war an einer kürzlich veröffentlichen Studie beteiligt, welche wenig überraschend zeigt: Ruhiges Atmen, Meditation oder Yoga helfen dabei, Wut abzubauen. Doch jetzt kommt's: Was zur Regulierung der Wut nicht hilft, das seien aktivierende Tätigkeiten. Also Kampfsport, Schwimmen oder Krafttraining.
Und: Joggen oder Treppensteigen verstärken die Wut sogar signifikant. Falls Sie sich nun sagen: «Also bei mir hilft Joggen als Ventil» – schauen wir uns das genauer an.
Was ist Wut?
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Wütend tun Menschen oft Dinge, die sie später bereuen. Doch Wut kann auch hilfreich sein, um sich zu verteidigen. Genau das ist die eigentliche Funktion von Wut.
Auf eine reale oder eingebildete Bedrohung oder Not reagieren Menschen mit Stress. Und das kann dazu führen, dass unser ältester Teil im Gehirn übernimmt, das sogenannte „Reptilienhirn“. Dieser reagiert schnell, automatisch und instinktiv.
Und zwar mit einer der drei Handlungsoptionen Fight (Kampf), Flight (Flucht) oder Freeze (Erstarrung).
Kampf und Flucht: Adrenalin und Cortisol wird ausgeschüttet. Die Atmung beschleunigt sich, die Muskeln spannen sich an, die Atmung wird flacher, die Stimme lauter, die Gedanken rasen und das Herz schlägt schneller.
Für Kampf dominiert das Gefühl der Wut – für Flucht eher das der Angst. Das Ergebnis: Kurzzeitig steht viel Energie zur Verfügung. Verdauung und Immunsystem hingegen fahren herunter.
Erstarrung: Die dritte Handlungsoption Freeze, also Erstarrung, tritt dann ein, wenn die Situation ausweglos erscheint. Dabei führt der Überlebensinstinkt zur Schreckstarre.
Wieso wir die Wut nicht am Boxsack rauslassen sollten
«In einem sogenannten Rage-Room Teller zu zerschlagen oder herumzubrüllen fühlt sich zwar im Moment gut an», gibt die psychologische Beraterin beim Elternnotruf Rita Girzone zu. «Die Wut rauszulassen kann kurzfristig eine Erleichterung und ein gutes Gefühl geben.» Aber, so Girzone, dabei könne es zum Jo-Jo-Effekt kommen. Denn das regelmässige Abreagieren von Wut durch zerstörerische Aktivitäten kann sogar die destruktive Aggression verstärken. «Solche Tätigkeiten helfen also nicht nachhaltig, einen besseren Umgang mit der eigenen Wut zu finden».
Sport sei aber durchaus wertvoll, betont Rita Girzone. Allerdings nicht primär, um Dampf abzulassen, sondern als präventive Massnahme der Selbstfürsorge.
Sieben Übungen zur Gefühlsregulation
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Jede Person braucht etwas anderes im Umgang mit ihrer Wut. Beim Elternnotruf wird unter anderem auf folgende sieben Übungen hingewiesen.
- Den Boden unter den Füssen spüren; den physischen Halt wahrnehmen
- Einige ruhige und tiefe Atemzüge nehmen
- Das Gefühl achtsam benennen
- Selbstfreundliche und beruhigende Berührungen am Herz- oder Bauchbereich
- Mit anderen darüber reden
- Beratung oder Therapie in Anspruch nehmen
- Regelmässig und nachhaltig Selbstfürsorge praktizieren, um eigene Batterien aufzuladen
Die psychologische Beraterin führt aus: «Es gibt Menschen, die haben das Gefühl, sie brauchen eine intensive körperliche Tätigkeit wie das Joggen, bevor sie Zugang zur Ruhe und Reflexion finden. Dies kann ein erster Schritt in der Emotionsregulation sein.» Ideal wäre, sich dabei mit sich selbst zu verbinden. Und anschliessend die wutauslösende Situation und die damit verbundenen Emotionen zu reflektieren.
Beruhigende Aktivitäten – und dann?
Statt beim Joggen oder Boxen Dampf abzulassen, solle man lieber herunterfahren: Tiefenatmung, Entspannung, Achtsamkeit, Meditation, Slow-Flow-Yoga, progressive Muskelentspannung, Zwerchfellatmung oder sich eine Auszeit nehmen.
Methodik der Übersichtsstudie
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Um Strategien zur Wutbewältigung zu vergleichen, hat die Psychologin und Kommunikationswissenschaftlerin Sophie Kjærvik nach bereits veröffentlichten Studien zur Wutregulation gesucht. Über 17’500 Studien hat sie in Betracht gezogen, 154 flossen schlussendlich in ihre Analyse ein.
In all diesen Studien wurde das Wutempfinden jeweils vor und nach Tätigkeiten wie Boxen, Meditieren, Rudern oder Yoga erhoben. Die beobachteten Effekte hat Kjærvik nun in einer Übersichtsstudie miteinander verglichen und zusammengefasst. Die Ergebnisse hat sie kürzlich im «Fachjournal Clinical Psychology Review» veröffentlicht.
Doch für einen nachhaltigen Umgang mit der Wut braucht es mehr, erklärt David Siegenthaler, psychologischer Berater und Paarberater bei Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich: «Bei Wut gilt es, erstmals zu erkennen, dass ich sie empfinde. Und dann in einem zweiten Schritt, worauf mich das Gefühl hinweisen will.»
Wegdrücken ist also keine gute Option. Das unterschreibt auch die psychologische Beraterin Rita Girzone. Und konkretisiert: Ein wirksamer und nachhaltiger Umgang mit Wut bestehe aus drei Phasen.
- Die körperliche Regulierung, also das Runterkommen
- Die Verarbeitung der Emotionen: Also zu verstehen, was mich wütend gemacht hat und welche Gefühle und Bedürfnisse darunter liegen
- Die Lösungssuche: Also was ich zukünftig anders machen kann
Der Wut auf den Zahn fühlen
Hinter der Wut liegen Bedürfnisse und Gefühle. Zum Beispiel nicht gehört zu werden, müde zu sein oder sich nicht wertgeschätzt zu fühlen. Die beiden Fachpersonen, Rita Girzone und David Siegenthaler, sind sich einig: Alle Gefühle dürfen sein. Aber nicht alle Verhaltensweisen. Und dafür benötigen wir Selbstreflexion und Übung – um zwischen der Wut und unserer Reaktion innehalten zu können.
Wissenschaftsmagazin, 23.3.2024, 12:40 Uhr
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